Die Wahrheit Sie schrumpft doch! – Kriki

Earth seen from the MoonHartnäckig hält sich die Theorie, dass unsere Kontinente Produkte eines Schrumpfungsprozesses und nicht etwa driftende Schollen sind.

Vor 100 Jahren veröffentlichte der deutsche Meteorologe Alfred Wegener seine Kontinentalverschiebungstheorie, die besagt, dass wir alle auf Schollen leben, auf Bruchstücken eines Urkontinents, Pangäa genannt. Langsam, aber stetig wie driftende Kontinente wurde seine Theorie von der Wissenschaft akzeptiert und ersetzte die bis dahin vorherrschende Schrumpfungstheorie von „Schrumpelpapst Suess“ (F. Schätzing).

Der Geologe Eduard Suess hatte angenommen, die erkaltende Erde sei zusammengeschnurrt wie ein verschrumpelnder Apfel. Wegener widersprach: „Ein Planet, der gleichmäßig Hitze abgäbe, müsse auch gleichmäßig schrumpfen und würde zwar faltig, aber nicht schartig und buckelig.“ Die „Schrumpeljünger“ (Schätzing) liefen zu Wegener über und Suess sah seine Schrumpftheorie in sich zusammenschnurren.

Widerlegte Schrumpftheorie
Obwohl die Schrumpftheorie längst widerlegt ist, hält die Schrumpelpresse tapfer daran fest: „Japan schrumpft“ und allerorten „Schrumpfende Städte“ sieht der Tagesspiegel, undSpiegel online berichtet von der „Schrumpf-Wiesen“ in München. Auch in Wirtschafts- und Wissenschaftsteil triumphiert der Schrumpfglaube: „Das Vermögen schrumpft“, „Audi schrumpft in China“ fürchtet der Tagesspiegel, während Spiegel online meldet, dass das Vermögen der Geschwister Quandt um 4,5 Quandtilliarden geschrumpft sei. Laut Radio 1 lassen Pornos das Gehirn schrumpfen, und wenn Londoner Taxifahrer in den Ruhestand gehen, schrumpft ihr Gehirn ebenso. (Tagesspiegel).

Ich bin Blindtext. Von Geburt an. Es hat lange gedauert BlindtextIch bin ein Blindtext.
Beeinflusst wurde die Schrumpfungstheorie sicherlich vom Zeichner und Dichter Wilhelm Busch, der über seine Figur Tobias Knopp berichtete: „Runzlich wird sein Lebensbild – Mütze, Pfeife, Rock und Hose schrumpfen ein und werden lose, so dass man bedenklich spricht: „Hör mal, Knopp gefällt mir nicht!“ Bange Frage: Driftet Knopp auseinander oder schrumpft er?

Preiswertes Vergnügen
Die schwarze Parze mit der Nasenwarze hatte ein Einsehen und schnitt Knopp – „schnapp!“ – das Lebensbändel ab. Der mittelamerikanische Indio begnügte sich nicht mit dem Lebensfaden und verarbeitete den Kopf seines Feindes zu einem „Jivaro“. Das ist ein Schrumpfkopf, der sich gut an abergläubische deutsche Autofahrer verkaufen ließ. Dieser Talisman baumelte in den sechziger Jahren als ebensolcher an vielen Innenspiegeln und sollte die Angst vor dem Tod auf der Autobahn schrumpfen. Preiswert war das Schrumpfvergnügen auch, frei Haus gegen Nachnahme für nur lausige 7,50 Mark!

In Panama war der Schrumpfkopfkauf deutlich teurer, für einen Schrumpfkopf in Apfelsinengröße musste man zur damaligen Zeit 50 Dollar auf den Tisch legen. Die Lieferanten waren dort die San-Blas-Indianer, die die Köpfe nach einem geheimen Familienrezept einschrumpften. Wo sie die Köpfe herhatten, hielten die geschäftstüchtigen Indios ebenfalls geheim. Kein Wunder, wenn derTagesspiegel meldet „Die Mittelschicht schrumpft“. Und was passiert eigentlich in Brüssel?

„Am Gebäude der EU spielt ein Kind, es schrumpft und zerrinnt“, beobachtet das Schrumpfmedium Tagesspiegel. Ein schönes Bild in zerrinnender Zeit. Und ein Beleg dafür, dass das Gehirn schrumpft. Oder driften die Gehirnteile des modernen Menschen auseinander wie haltlose Kontinente? Zuzutrauen wäre es ihnen.

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Ein echter Tsantsa –
Mensch – Ja wie? – &
Nich ’n Schwätzig¿!
Nö – Klar – von Kriki.
Freu ich mich –
Fein.

(„Und nur dieses sage ich –
Pfui mein Sohn entferne dich!“;)
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& bei denn Fotto darf Erich Bötticher natürlich nicht fehlen:

Es zwitschert eine Lerche im Kamin,
……. ->
Die Erde hat ein freundliches Gesicht,
So groß, daß man’s von weitem nur erfaßt.
Komm, sage mir, was du für Sorgen hast.
Reich willst du werden? – Warum bist du’s nicht?

vollständig ->   http://www.zeno.org/…für Sorgen hast
unbedingt;)

http://www.taz.de/Die-Wahrheit/!5262786/

Die Wahrheit Jauchzet und spottet! – Christian Maintz

WahrWeihnacht24122015jauchzet

Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Auch an Weihnachten darf sich die Leserschaft an einem Poem über Satiriker und das Fest erfreuen.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit,
Denn wenn es auch nur mäßig schneit,
Es naht die traute Weihnachtszeit;
Das freut nicht nur die Christenheit.

Es jauchzet und frohlockt auch er:
Der Spötter und Satiriker.
Er macht wie alle Jahre wieder
Mit Lust die Feierchristen nieder:

„Ihr Spießer, seht euch bloß mal an!
Ihr glaubt noch an den Weihnachtsmann!
Ans Christkind! Reflektiert doch mal!
Wem nützt denn das? Dem Kapital!

Das ist doch alles grundverkehrt!
Und kommerziell! Und sinnentleert!
Euch Christen soll der Teufel holen
Und eure Weihnachtsgans verkohlen!“

So wird zu schäumen er nicht matt;
Man druckt es im Satireblatt,
Und unser Mann denkt still bei sich:
„Was bin ich wieder lästerlich!“

Dann zündet er die Lichter an,
Verkleidet sich als Weihnachtsmann,
Geleitet so bei Kerzenschimmer
Die Lieben in das Weihnachtszimmer.

Er sieht die Augen seiner Kleinen,
Fängt unvermittelt an zu weinen
Und brummt nun voll Ergriffenheit:
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“

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Na & wir – bewundern wieder mal
Ein fein Dressurstück der Moral.

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& nix ergriffen->
Meine innerfamiliäre – öh WeihnachtsmannSozialisation –
Dauerte nur eine Wimpernschlag –
Als BombenDetonationen & -Alarm Gestähltes Kind – ließ ich mich
Wortlos auf alle Viere fallen – & Kam unter dem Bett erst wieder raus
Als die Pantoffeln von Opa Sipps ausse Kellerwohnung
Wieder wech waren – &
Selbiges – Versprochen – Sich nicht wiederholte.
So wars denn auch.

http://www.taz.de/Die-Wahrheit/!5260218/

Syriza-Politiker über Europas Linke „Der einzige Kommunist im Dorf“ – Intv. Anja Maier / Pascual Breucker

Syriza election rally in Athens
Giorgos Chondros vom Syriza-Zentralkomitee über Podemos, neoliberale Chancen und die Lehren aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres.

taz: Herr Chondros, Wie bewerten Sie das Abschneiden von Podemos? Wird der Wahlausgang in Spanien Auswirkungen auf Griechenland haben?

Giorgos Chondros: Der 20. Dezember ist ein historischer Tag nicht nur für Spanien, sondern für ganz Europa. Die neoliberalen Kräfte haben eine eindeutige Niederlage erlitten und somit auch die Austeritätspolitik. Deshalb ist das Ergebnis der Wahl sehr wichtig für Griechenland. Das gute Ergebnis von Podemos, mit der wir uns sehr verbunden fühlen, macht Mut. Die Hoffnung auf eine Alternative, deren Ausgangspunkt der Sieg von Syriza Anfang 2015 war, breitet sich langsam auf den gesamten Süden Europas aus. Der Traum von einem Europa der sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie und der offenen Grenzen lebt weiter.

„Die Hoffnung kommt“, lautete die Parole, mit der Ihre Partei die Wahl im Januar gewonnen hat. Was ist von der Hoffnung am Ende des Jahres in Griechenland noch geblieben?

Es ist noch Hoffnung da. Aber nicht mehr die Euphorie und der Pathos, den wir alle hatten, nicht nur in Griechenland. Wir waren überzeugt, dass sich um Syriza eine starke europäische Linke aufbauen würde, die mehr bewegt als sie bisher bewegen konnte. Danach sieht es momentan leider nicht aus.

Für die deutsche Linke scheint Syriza jedenfalls keine Hoffnungsträgerin mehr zu sein.

Da machen es sich manche recht einfach. Für die wurden wir über Nacht zur „Verräterpartei“, weil wir den Kampf nicht gewonnen haben, zu dem sie selbst nicht willens oder in der Lage waren. Tatsache ist doch: Es wird für ganz Europa schwierig, wenn sich die Verhältnisse vor allem in Deutschland nicht ändern. Schäuble ist immer noch Finanzminister in Deutschland, nicht in Griechenland. Also, werdet ihr euren Schäuble los, dann sagt uns, was wir wie hätten besser machen können.

GIORGOS CHONDROS

Foto: nd

57 Jahre, trat 1976 als Schüler der griechischen KP bei. Zwischen 1977 und 1985 studierte er Ethnologie in Wien und war in der Studenten- und Umweltbewegung aktiv. 1989 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des linken Bündnisses Synaspismos, aus dem 2004 Syriza entstanden ist. Er ist Mitglied des Zentralkomitees von Syriza und deren Umweltsprecher.

Ist es nicht sehr bitter, dass die Regierung von Alexis Tsipras jetzt genau die Sozialkahlschlags- und Privatisierungspolitik umsetzen muss, die Syriza immer bekämpft hat?

Natürlich ist die Enttäuschung groß. Wir haben eine schwere Niederlage erlitten. Tsipras ist auf dem EU-Gipfel Mitte Juli in Brüssel mit einer Situation konfrontiert worden, in der er nur noch die Wahl zwischen zwei fatalen Alternativen hatte. Mit der erpressten Unterzeichnung der Vereinbarung hat er eine unmittelbare Katastrophe vermieden. Ein ungeordneter und unorganisierter Grexit hätte ohne Zweifel noch weitaus dramatischere Folgen für die griechische Bevölkerung gehabt. So gibt es wenigstens noch kleine Spielräume.

Das ist nicht viel.

Das stimmt. Trotzdem spielt es eine Rolle, wer dieses schlechte Abkommen umsetzt, und vor allem: wie. Deswegen war es wichtig, dass Syriza die Wahl im September erneut gewonnen hat. Es geht darum, wie Lasten von unten nach oben umverteilt werden, dass vorrangig die Reichen für die Krise bezahlen. Das ist nicht einfach, weil die Eliten in Griechenland und auch in Deutschland das verhindern wollen. Immerhin hat es Syriza geschafft, dass bei diesem Abkommen die Rede von einem großen Schuldenschnitt ist. Die Diskussion darüber wird nach der ersten Überprüfung beginnen.

Hätte nicht nach dem linken Reinheitsgebot Syriza die Regierung verlassen und in die Opposition gehen müssen?

Das würde einerseits einen wichtigen Faktor ignorieren, warum die griechische Bevölkerung mehrheitlich wieder Syriza gewählt hat: Sie will wirklich Schluss machen mit dem alten Parteisystem und einen Schlussstrich unter das korrupte Regime von Nea Dimokratia und Pasok ziehen. Andererseits geht es um eine linke Grundfrage: Wenn man nicht ganz konkret versucht, jetzt und heute die Lebensbedingungen der Massen zu verbessern, wozu gibt es dann die Linke? Zu Hause sitzen und warten, dass die Revolution vom Himmel fällt, ist keine linke Politik.

Die Zustimmung von Tsipras zum dritten Memorandum hat Ihre Partei fast zerrissen, viele Mitglieder haben Syriza tief frustriert verlassen.

Ist das nicht nachvollziehbar? Nach der erpressten Zustimmung zum dritten Memorandum hatte auch ich zunächst das Gefühl totaler Ausweglosigkeit. Wir hatten etliche Sitzungen am Tag: Wie machen wir weiter? Machen wir überhaupt weiter? Wir begannen ein Treffen mit fünf Leuten, zum Schluss waren es noch zwei. Bei der nächsten Sitzung kamen fünfzehn, dann gingen zehn wieder raus.

Wie groß ist der Verlust?

Insgesamt sind etwa 50 Prozent des Zentralkomitees, ungefähr 35 Prozent der mittleren Kader und 15 Prozent der Mitglieder gegangen. Die meisten haben den sogenannten Anachoritismós gewählt, den Rückzug ins Private. Nur ein kleiner Teil hat sich der Abspaltung Laiki Enotita angeschlossen, die es bei der Wahl im September noch nicht einmal ins Parlament geschafft hat.

DAS BUCH

Von Giorgos Chondrosist im Herbst das Buch„Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas“(ISBN 978-3-86489-115-1) im Westend Verlag erschienen. Darin berichtet er aus nächster Nähe, was in den wochenlangen Verhandlungen mit der EU und den sogenannten Institutionen tatsächlich besprochen wurde „und wie dabei gerade deutsche Medien eine Art Propagandakrieg gegen Griechenland und die Politik der Syriza führten“. Chondros, so schreibt der griechische Finanzminister Efklidis Tsakalotos in seinem Vorwort, sei „der Richtige, um eine facettenreiche und kaleidoskopartige Analyse des vergangenen und gegenwärtigen Geschehens zu geben“.

Beruhigt Sie das?

Überhaupt nicht. Unter denen, die sich zurückgezogen haben, sind viele Freunde von mir. Das tut schon sehr weh. Aber gerade basierend auf den Erfahrungen der zurückliegenden Monate müssen wir wieder aufstehen und weitermachen. Hauptmerkmal eines Linken ist nicht, wie er fällt, sondern wie er aufsteht.

Wie hat sich Syriza verändert?

Das lässt sich noch nicht eindeutig sagen. Es gibt auch Genossinnen und Genossen, die völlig happy sind, wie das alles gelaufen ist. Die sagen: Hauptsache, wir sind weiter an der Regierung, und die Bevölkerung ist nach wie vor mit Syriza. Ich sehe das anders. Wir haben eine schwierige Zeit sowohl hinter als auch vor uns. Alte Gewissheiten tragen nicht mehr. Wir müssen vieles überdenken. Die Partei, die Regierung und auch die sozialen Bewegungen müssen jetzt ausarbeiten, wie wir uns aus dieser Situation herauswinden können. Der Ausgang ist völlig ungewiss.

Sie haben auf dem taz-lab im April gesagt, die zeitgenössische Klassenfrage sei, ob die Austeritätspolitik weiter betrieben oder auf Sozialstaat, mehr Frieden und mehr Demokratie gesetzt werde. Diese Frage ist inzwischen beantwortet, oder?

Nein, die Frage ist weiter offen. Auch wenn wir eine Schlacht verloren haben – und damit meine ich die gesamte linke Bewegung in Europa. Keine Frage: Syriza hat sehr viele Fehler gemacht, nicht zuletzt aufgrund unserer Unerfahrenheit. Nur: Auch wenn wir alles richtig gemacht hätten, wäre das Resultat aufgrund der Kräfteverhältnisse dasselbe gewesen. Eine linke Regierung stand gegen achtzehn neoliberale Regierungen. Und es fehlte an einer europäischen Bewegung, die uns machtvoll hätte Beistand leisten können.

Was hat Syriza falsch gemacht?

Wir haben vor der Wahl im Januar versäumt, uns gründlich auf eine Übernahme der Regierung vorzubereiten. Als wir dann an der Regierung waren, haben wir geglaubt, unser Voluntarismus allein würde reichen, die Austeritätspolitik beenden zu können. Wir hatten die Illusion, dass die anderen europäischen Regierungen vernünftig handeln, und nicht rein ideologisch. Es gab auch Fehleinschätzungen, was die Solidarität der europäischen Sozialdemokratie angeht. Vor allem hätten wir viel früher erkennen müssen, dass ein Grexit für einen Teil der Eliten und für einen Teil des Kapitals das Ziel war und nicht die Bedrohung.

Was ist die Lehre daraus? Geht linke Politik nur gegen die EU, wie jetzt auch viele in der deutschen Linkspartei meinen?

Das ist zu kurz gesprungen. Der Rahmen, in dem wir uns bewegen und gesellschaftliche Veränderungen formen möchten, ist der europäische Raum. Ja, Europa muss sich verändern. Aber wir kämpfen nicht gegen die EU generell, sondern gegen die neoliberale EU. Die Rückkehr zum Nationalstaat ist keine Option und Nationalismus kein linkes Projekt. Es sind die Neoliberalen und Rechten, die gerade dabei sind, die europäische Idee zu zerstören: mit ihrer autokratischen Politik gegenüber Griechenland, mit ihrer nationalegoistischen Abschottung gegenüber Flüchtlingen. Dagegen müssen Linke ankämpfen. In einigen europäischen Ländern wie Spanien, Portugal oder Irland sind Kräfte im Kommen, die ähnliche Programme haben wie Syriza. Darin liegt eine Chance. Ein neoliberales Europa hat hingegen keine Perspektive.

Und was ist mit der Linkspartei?

Deren Programm ist zwar ähnlich, aber sie funktioniert anders. Sie ist weniger bewegungsorientiert. Vor allem muss sie sich entscheiden, ob sie Oppositionspartei bleiben oder vielleicht gerade noch Juniorpartner in einer Regierungskoalition werden will. Um die Verhältnisse in Deutschland und Europa zum Tanzen zu bringen, reicht das nicht: Die Linke muss sich entscheiden, auch in Deutschland die Macht anzustreben. Sie muss die Machtfrage stellen, so utopisch das klingen mag. Die Linkspartei liegt in den Umfragen zwischen acht und zehn Prozent und verhält sich auch so. Wenn sich das nicht ändert, dann wird sie auch weiterhin nicht viel bewirken können.

Wie sieht Ihre persönliche Perspektive aus?

Ich bin ein Bewegungsmensch. So bin ich auch zu Syriza gekommen. Ich bin mir sicher, die sozialen Kämpfe gehen weiter. Und ich werde weiter dabei sein. Wissen Sie, ich stamme aus Mesochora in Zentralgriechenland. Ich war lange der einzige Kommunist in unserem Dorf. Trotzdem haben mich die Menschen dort in den Gemeinderat und zu ihrem Bürgermeister gewählt. Der Grund war, dass ich jahrzehntelang gegen einen riesigen Staudamm gekämpft habe. Seit mehr als fünfzehn Jahren ist dieser Staudamm, dem Mesochora zum Opfer fallen soll, bereits fertig. Er kann nicht in Betrieb genommen werden, weil die Proteste zu groß sind. Nun kursiert ein böser Witz in Griechenland: Chondros wird den Staudamm eröffnen. Aber seien Sie sicher: Das werde ich nicht tun.

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Schön – wie die Fragen zeigen –
Wie hasenfüßig – & nicht nur in der taz – resigniert-besserwisserisch – öh Gedacht wird – &
Wie Giorgos Chondros im
Geiste eines Pierre Bourdieu & eines Alekos Panagoulis die Tugend&Kraft Des Langen Atems entgegensetzt & –
Einfordert – europaweit.
Aufrechter Gang.

kurz – Was Besseres als den Tod & Das Verfeuern des Sozialstaates Findet sich überall ~>
Nur – Wir leben in Europa – &
Haben keine Chance ~>
Also ergreifen wir sie. Recht hat er.
So geht das.
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@KARL KRAUS -> @PLUTO Womit er allerdings Recht hat, ist dieser Satz: „Es wird für GANZ Europa schwierig, wenn sich die Verhältnisse VOR ALLEM in Deutschland nicht ändern.“

Die Wahrheit Vom Lautmaler gemalt – KRIKI

Daniil Simkin, Denys CherevychkoMax und Moritz hopsten „schlupp!“ auf die Bühne der Bilderliteratur.

Vor 150 Jahren entdeckte Wilhelm Busch die Comicsprache und verhalf dem ersten Inflektiv zur Premiere in der Weltliteratur.

Applaudier, applaudier – vor 150 Jahren erblickten Max und Moritz – „schlupp!“ – das Licht der Welt, und ihr Schöpfer Wilhelm Busch schrieb mit ihnen Comic-Geschichte. Busch war nicht nur Zeichner, Dichter und Maler, sondern auch Lautmaler. Mit „Max und Moritz“ sollte er als erster Meister eine Bildgeschichte in Bild und Ton komponieren.

Das ganze Bilderbuch über die Lausbuben und ihre Streiche ist eine einzige lautmalerische Kakofonie und ließe sich allein in Geräuschen erzählen: „Kikeriki! Kikikeriki!!“ – „Tak tak tak!“ – „Schnupdiwupp!“ – „Rawau, rawau!“ – „Ritzeratze!“ – „Meck, meck, meck“ – „Rums!!“ – „Kritze, kratze!“ – „Autsch“ – „Ratsch“ – „Puff“ – „Knacks“ – „Schwapp!!“ – „Rupp“ – „Knusper, knasper“ – „Hei“ – „Rabs“ und schließlich „Rickeracke!“ Das ist das Ende mit Geknacke. Zum Schluss dann verzehret sie Meister Müllers Federvieh . . .

Unbemerkt von der Comic-Wissenschaft blieb im 4. Streich eine denkwürdige Premiere, nämlich der Auftritt des ersten Inflektivs der Weltgeschichte: „Stopf, stopf, stopf, Pulver in den Pfeifenkopf!“ Hier treffen wir nicht auf eine Lautmalerei, denn das Stopfen macht so gut wie kein Geräusch, sondern auf eine erzählerische, ungebeugte Verbform, die durch das Weglassen der Infinitivwendung gebildet wurde. Genau so nämlich beschreibt Wikipedia den Inflektiv – oder mit anderen Worten: Nicht beug, bild und weglass!

Der Inflektiv heißt nach Erika Fuchs auch Erikativ
Die schönsten Inflektive wurden in den fünfziger und sechziger Jahren durch die unvergleichliche deutsche Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs in die Comicwelt gesetzt: seufz, grübel, ächz. Deshalb wird der Inflektiv auch völlig zu Recht als Erikativ bezeichnet. Selbstverständlich kannte die belesene Frau Fuchs auch Max und Moritz, da wird ihr das bahnbrechende „stopf, stopf, stopf“ von Wilhelm Busch sicherlich in Erinnerung geblieben sein. Von Rechts wegen müsste also die Comic-Geschichte umgeschrieben werden und aus dem Erikativ ein Buschkativ gemacht werden. Weil das aber ungut klingt (befremd), lassen wir das lieber.

Was Busch aber nicht ahnen konnte, war, dass sein „stopf, stopf, stopf“ in der heutigen Internetkommunikation fröhliche Urstände feiern sollte (staun, kopfkratz). Denn dort werden Wortpeinlichkeiten wie „knuddel“ und „ganzdollknuddel“ von unbedarften Chatsettern gern versendet.

Busch konnte nicht ahnen, dass sein Inflektiv im Internet hochmodern wird
Die Inflektionitis der jungen Menschen ist nichts Neues, die Barksisten und Donaldisten haben bereits in den sechziger Jahren in Inflektiven gesprochen. Gern auch mit dem vorangestellten „so“. So: Staun und mit den Augen roll. Ja, so war das, liebe Schnatter-Chatter und Twitter-Flitterer, lange vor euch!

Auch Lautmalerfürst Wilhelm Busch hatte seinerzeit Vorbilder, das „Knusper, knasper“ im 6. Streich kennen wir von der Hexe aus dem Märchen: „Knusper, knusper, knäuschen.“ Und zu Recht fragt sich auch der Daumerling: „Strip, strap, stroll, ist der Eimer noch nicht voll?“ Doch, ist er – und deshalb zitieren wir abschließend den Meister Busch: „Ratsch! Man zieht den Vorhang zu!“

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Kriki ;))) – you just made my day.

& …dann kommt der große schwarze •
(aber bis dahin lassen frauman
Die Parzen noch was – Knütten;)

http://www.taz.de/!5257309/#bb_message_3320465

Die Wahrheit Klassisches Gespräch – Christian Maintz

EDELE GOETHE SCHILLER

Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die Leserschaft an einem Poem über ein Gespräch der Herren Goethe und Schiller erfreuen.

Schiller sprach, er finde Kant
Fulminant und sehr prägnant.

Goethe dachte lange nach
Und versetzte endlich: „Ach!“

Lessing, meinte Schiller jetzt,
Sei doch ziemlich überschätzt.

Goethe griff zum Glas Bordeaux,
Trank und brummte dann: „Soso!“

Schlegel, tat nun Schiller kund,
Sei ein rechter Schweinehund.

Goethe nahm noch einen Schluck,
Dann bemerkte er: „Na guck!“

Lenz, so Schiller, sei passé,
Goethe gab zurück: „Ach nee!“

Hölderlin sei leider halt,
Ätzte Schiller, durchgeknallt.

Goethe sagte nichts, stattdessen
Hat er eine Wurst gegessen.

Kleist, rief Schiller, sei der Größte.
Goethe, der inzwischen döste,

Wachte auf und sprach: „Na fein.“
Hierauf schlief er wieder ein.

————————-

So wirds wohl gewesen sein ->

Parodox – wie fein – ist
Wenn ein Goethe
Sein Denkmal – welch List – &
Fein geillert ->
Durch die Bäume schillert.
Denkste – wenn – >
‚Jöhten spielt Flöten –
Auf Schiller – sein Piller‘
Walter Jens – kenn ’s.

Aber das – das Ende wahr ->
Pruuzschst – …heit!! ->
„Goethe sagte nichts, stattdessen
Hat er eine Wurst gegessen.“ &
„Mehr Licht …“+ & mehr nicht – >
(‚…de Worscht so im Maare!‘)
Des – ware.
—————————-
@MOWGLI(->So könnte es gewesen sein! Es haben nicht nur zehn Jahre zwischen Goethe und Schiller gelegen, sondern auch gefühlte 10 Hierarchieebenen.)

 😉

Hierarchieebenen -;))

Mit Willy Brandt –
Da wuchert zusammen –
Was zusammengehört¿!

http://www.taz.de/!5256567/#bb_message_3318631
& ganz spontane ->
HARRYR.TOMHÖRBRUCH

 

Autor über Terror und die Schweiz „Nur Mitleid kann etwas ändern“ Intv. Julian Weber

Paris Attacks The FearDer Schriftsteller Lukas Bärfuss gilt als streitbarer Intellektueller. Er kritisiert seine Schweizer Heimat und beschreibt die Ästhetisierung von Gewalt.

taz.am wochenende: Herr Bärfuss, Sie wurden in die Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen, als Rainald Goetz den Büchner-Preis bekommen hat. In seiner Dankesrede fiel der Begriff des „politischen Schriftstellers“. Müssen Schriftsteller die Rolle des öffentlichen Intellektuellen stärker wahrnehmen?

Lukas Bärfuss: Ich glaube nicht, dass sich Schriftsteller um sämtliche Mechanismen des Politischen zu kümmern haben. Ganz gewiss ist die Öffentlichkeit eine Größe, ein Gegenüber, ein Partner, wie es bei Max Frisch heißt. Sie kann der Schriftsteller schlechterdings nicht ignorieren. Ich weiß nicht, wie man publizieren möchte, ohne sich zu fragen, an wen man sich wendet. Welcher Art sind die Interessen, was sind die Bedingungen des Denkens, der Form, der Sprache? No man is an island: Solange dieser Satz gilt, bleibt es meine Aufgabe, mit der Öffentlichkeit in ein Verhältnis zu treten und darüber Rechenschaft zu geben.

tazawDie Anschläge von Paris waren äußerst brutal. Die Zürcher Anglistin Elisabeth Bronfen hat versucht, jene Gewalt anhand von fiktionalen Gewaltästhetisierungen zu erklären.

L.Bärfuss:Die Ästhetisierung von Gewalt ist eine kulturelle Konstante. Neulich habe ich in Florenz mit meinen Kindern die Uffizien besucht: Wenn man an den Caravaggio-Gemälden vorbeigeht, zieht man den Kopf ein und hofft, die Kinder blieben nicht zu lange davor stehen.
tazaw:Seit Caravaggios blutrünstigen Bildern gab es ja noch die Aufklärung.

L.Bärfuss:Auch danach ist diese Ästhetisierung eine Konstante geblieben. Nehmen Sie Netflix: Gewalt ist dort das wichtigste Stilprinzip.

tazaw.Wir schauen US-Serien, aber deswegen erschießen wir nicht Besucher eines Konzerts.

L.Bärfuss:Natürlich nicht. Aber wir sollten uns eingestehen, dass uns Gewalt nicht nur empört, sondern auch fasziniert und anzieht. Und es ist dieser Mechanismus, den die Terroristen ausnutzen. Wir können uns von diesen Bildern nur schwer lösen. Sie werden im kollektiven Gedächtnis zu Ikonen des Schreckens. Diese Wirkungsmacht erstaunt uns immer wieder, und ich glaube, darin liegt eine Falle: Staunen bedeutet auch erstarren, die Faszination paralysiert uns.

Person: Lukas Bärfuss, geboren 1971 in Thun, Schweiz, arbeitete nach dem Abitur als Gabelstaplerfahrer und Gärtner, bevor er eine Buchhändlerlehre abschloss. Seit 1997 ist er als Schriftsteller und Dramatiker tätig und avancierte zu einem vielbeachteten Autor. Er erhielt zahlreiche Preise. Seine Stücke werden weltweit gespielt. Bärfuss lebt heute mit seiner Familie in Zürich.

Werk: Seine Romane, darunter „100 Tage“ über den Wahnsinn des Völkermords in Ruanda, sind inzwischen in 20 Sprachen übersetzt worden. Zuletzt erschien „Stil und Moral. Essays“, eine Sammlung von Rezensionen, Aufsätzen und Essays im Wallstein Verlag, Göttingen, 2015, 235 S., 19,90 Euro.

tazw: Was fällt Ihnen an der Sprache des IS auf? Von dem Konzert sprachen die Terroristen etwa als „perverse Feier“.

L.Bärfuss: Auch das kennen wir schon aus anderen Zusammenhängen. In evangelikalen Sekten war schon vor Jahren vom „teuflischen Gehalt der Rockmusik“ die Rede. Vielleicht würde es ganz grundsätzlich helfen, wenn wir die Konstanten in den Methoden erkennen, die Konstanten auch in unserer Reaktion darauf. Europa wird ja nicht zum ersten Mal vom Terror heimgesucht.

tazaw: An was dachten Sie zuerst?

L.Bärfuss: Die mediale Hegemonie, die solche Gewalttaten in kürzester Zeit erreichen, verunmöglicht das klare Denken. Wir sehen zwar, aber wir erkennen nicht. In diese mediale Hektik hinein öffentlich zu denken, finde ich schwierig. Dazu muss ich dies alles mit einer sehr persönlichen Erfahrung verbinden. Meine Frau, eine Französin, war an jenem Freitag in Paris, ihr Sohn sogar im Stade de France. Ich habe viele Freunde in Paris.

tazaw: Was hat die Gesellschaft jetzt zu tun?

L.Bärfuss: Wie gesagt: zuerst aus der geschichtlichen Erfahrung lernen. Viele der Diskussionen, etwa jene über den Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten, wurden bereits früher geführt. Und schon da hat weniger Freiheit niemals zu mehr Sicherheit geführt. Eine andere Erfahrung ist auch, dass Kriegsrhetorik den Terroristen in die Hände spielt. Sie treibt die Eskalation weiter an. Und schließlich ist jeder Terrorismus auf ein spezifisches Milieu angewiesen, das sich mit der Ideologie in unterschiedlichster Weise solidarisiert. Diese Solidarität muss man angehen, und das wird nur gehen, indem man diesem Milieu Angebote macht, zurück in die Gesellschaft zu kommen.

tazaw: Ein Essay von Ihnen heißt „Freiheit und Wahrhaftigkeit“. Es ist seit Paris viel davon die Rede, dass wir unser Leben nicht ändern sollen. Würden Sie Freiheit und Wahrhaftigkeit nun anders definieren?

L.Bärfuss: Es ging mir in dem Aufsatz zunächst um die Frage, wie weit unsere Sprache mit unserer Lebenswirklichkeit übereinstimmt. Hannah Arendt hat über die Loslösung und anschließende Petrifizierung gewisser Begriffe im Zuge einer Ideologisierung gesprochen. Durch diese Petrifizierung entfernen sich die Worte immer mehr von der Lebenswirklichkeit. Diese Dialektik wollte ich untersuchen. Ich wollte wissen, ob unser Freiheitsbegriff noch eine Verankerung in der politischen Partizipation hat oder wir ihn bloß wie eine Monstranz vor uns hertragen. Ich glaube nicht, dass man sich mit Redensarten begnügen sollte. Das Pathos etwa, das wir uns vom Terrorismus unsere Freiheit nicht nehmen lassen, mag situativ seine Berechtigung haben, aber es sollte uns nicht davon abbringen, schärfer zu untersuchen, was Freiheit heute bedeutet.

KONTROVERSE UM „DIE SCHWEIZ DES WAHNSINNS“
Am 15. Oktober publizierte Lukas Bärfuss sein Essay „Die Schweiz des Wahnsinns“ in der FAZanlässlich der Schweizer Parlamentswahlen am 18. Oktober, in dem er auf die seiner Meinung nach trostlose Situation der politischen Debatte in seiner Heimat Bezug nahm. Daraufhin erschienen in allen bedeutenden Schweizer Tageszeitungen, wie dem Zürcher Tagesanzeiger und der Neuen Zürcher Zeitung, teils wüste Repliken. So warf der designierte Leiter des NZZ-Feuilletons, René Scheu, dem Schriftsteller „mentalen Isolationismus“ vor. In der FAZantwortete etwa der rechtspopulistische Politiker und Verleger der einst von Flüchtlingen aus Nazideutschland gegründeten Zürcher Weltwoche, Roger Köppel, und nannte Bärfuss einen „intellektuellen Geisterfahrer“. Im Netz kam es zu einem Shitstorm gegen Bärfuss. In unserem Interview, etwa im Hinblick auf den Terror in Paris, erweist sich Bärfuss auch sonst als streitbarer Intellektueller.
tazaw: Sie haben in einer Rede in der Schweiz zwei Eigenschaften genannt, die Individuen in einer Gesellschaft eint: Nationalität und Sprache. Was reizt Sie an den Begriffen?

L.Bärfuss: Ihre Ausweglosigkeit! In ihrer ganzen Unschärfe sind sie Fluchtpunkte. Man trifft auf eine Muttersprache, die man sich nicht wählt, man ist im Denken an eine Sprache gebunden, wie Wittgenstein zeigte. Sprache ist die Voraussetzung, obwohl ich der Ansicht bin, dass Erzählen auf etwas baut, das vorsprachlich ist. Und mehr als von der deutschen Sprache bin ich von der Weltliteratur geprägt. Was die Nation betrifft, die wir uns ja auch nur selten aussuchen, glaube ich, dass sie sich in einem Rückzugsgefecht befindet. Und weil es dabei um ihre Existenz geht, werden diese Gefechte verbissen geführt, mit viel Gewalt und vielen Toten. Der homogene nationale Raum ist zur Fiktion geworden. Grenzen gelten nur noch für die Schwächsten, für die Flüchtlinge. Die Warenströme zirkulieren weitgehend frei, und das Kapital kennt überhaupt keine Grenzen mehr. Doch der Nationalstaat hält weiter an einem Hoheitsgebiet fest und stößt dadurch an seine inhärenten Grenzen. Er ist kaum mehr zu legitimieren, nur noch zu behaupten.

tazaw: Sie haben in jener Rede Flüchtlinge als „die Abwesenden“ bezeichnet. Vor Kurzem hat der bayerische Politiker Günther Beckstein in einem Interview humanitäre Flüchtlingspolitik kritisiert und die Schweiz als Gegenbeispiel genannt. Was gefällt ihm an der Schweiz?

L.Bärfuss: Möglicherweise wird sich Beckstein bald lieber auf Polen beziehen, wo der Wille zur Abschottung noch größer ist. Die politische Reaktion feiert an vielen Orten in Europa Erfolge, sie tauscht sich aus und lernt voneinander. Wir sehen ähnliche Mechanismen in Polen, in der Schweiz und in Deutschland am Werk. Die schweizerische politische Reaktion hat den großen Vorteil von 3,6 Milliarden Franken Privatvermögen in den Händen von Christoph Blocher. Hierzulande sind die Mittel beinahe unbegrenzt, die Innovationskraft ist deshalb ebenso groß wie der Einfluss auf die Begriffsbildung.

tazaw: In einem Essay Ihres Aufsatzbandes „Stil und Moral“ machen Sie sich Gedanken zum Begriff der Identität. Wie stehen Sie dazu?

L.Bärfuss: Der Identitätsbegriff ist für mich problematisch. Erstens ist er nur möglich durch eine Definition ex negativo. Man definiert sich durch das, was man nicht sein will. Sobald man über Identität spricht, muss man über das Andere sprechen. Dieses Sprechen ist sehr komplex und letzten Endes auch fiktiv, weil es das Andere nur im dialektischen Zusammenhang gibt. Man kann es nicht isolieren, nicht aus sich selbst heraus definieren. Gerade in Gruppen, die wenig inneren Zusammenhalt haben, wie zum Beispiel eine gemeinsame Sprache oder eine gemeinsame Kultur, kann das zur Obsession werden. In der Schweiz ist das offensichtlich der Fall.

tazaw:Was ist schweizerische Identität?

L.Bärfuss: Das zu formulieren, ist noch niemandem gelungen. Regionale und örtliche Identitäten sind leicht zu definieren. Ich komme aus einem Winkel im Berner Oberland, mit einer sehr spezifischen Sprache und Geschichte. Ich kenne die Gepflogenheiten, die Tabus, die Codes. Ein Bewusstsein als Schweizer besitze ich hingegen kaum. Das muss ich mir durch sehr abstrakte Begriffe konstruieren. Aber da wir als Schweizer Staatsbürger trotz allem an diese Körperschaft gebunden sind, sind wir ständig gezwungen, uns zu fragen, wer wir sind. Historisch wurde diese Frage meistens durch die Bedrohung von außen beantwortet. Sie hat der Schweiz den Zusammenhalt geschenkt. Bedroht durch die französischen Revolutionstruppen, später dann durch den Kommunismus, durch Nazi-Deutschland. Und nach 1989 wurde die EU aufgebaut als Gegner, der das weggebrochene identifikatorische Feindbild restituieren musste.

tazaw: Friedrich Dürrenmatt hat 1957 in seinem Roman „Justiz“ folgende Schweizer Hervorbringungen aufgezählt: Präzisionsuhren, Psychopharmaka, das Bankgeheimnis und ewige Neutralität. Wie ist es heute um sie bestellt?

L.Bärfuss: Sarkastisch gesprochen: Die Psychopharmakologie hat über alle anderen Begriffe triumphiert! Der Einfluss der Medikamente auf unsere Gesellschaft kann gar nicht überschätzt werden. Man sieht es an den astronomischen Gewinnen und der politischen Macht der pharmazeutischen Industrie. Wir leben in einer Gesellschaft unter Drogen. Das wäre an sich nicht schlimm, aber die Wirkstoffe sind doch sehr bezeichnend. Leistungsfördernde Drogen sind hoch angesehen, bewusstseinserweiternde hingegen beinahe verschwunden. Das Amphetamin Ritalin etwa wird flächendeckend verschrieben.

tazaw: Die anderen Eigenschaften?

L.Bärfuss: Der Begriff der ewigen Neutralität ist porös geworden, er spielt heute in der politischen Auseinandersetzung kaum eine Rolle mehr. Präzision ist an sich eine gute Konvention, etwas, was ich an der Schweiz schätze, wie vieles, übrigens. Die bürgerliche Gesellschaft hat ja auch fruchtbare Eigenschaften ausgebildet. Aber viele grundsätzlich positive Werte, wie Pünktlichkeit oder ein gewisses Arbeitsethos, dass man sich selbst weniger wichtig nimmt als seine eigene Arbeit, all dies ist natürlich ausbeutbar.

tazaw: Mitte Oktober sorgten Sie mit dem anlässlich der bevorstehenden Wahlen in Ihrer Heimat in der FAZveröffentlichten Essay „Die Schweiz des Wahnsinns“ für eine Kontroverse. Was wollten Sie damit bezwecken?

L.Bärfuss: Ich mache mir beim Schreiben keine Gedanken über die Wirkungen, ich folge einem Impuls. Alles andere wäre lebensverhindernd. Im Fall von „Die Schweiz des Wahnsinns“ war dieser Impuls ein polemischer. Er hat in der deutschen Literatur große Vorbilder: Der 17. Literaturbrief von Lessing etwa, in dem er sich gegen Gottsched wendet. Oder in Schopenhauers Essays über die Schriftstellerei in „Parerga und Paralipomena“. Und dann vor allem bei Walter Benjamin, der mir die Form in die Feder diktiert hat. In einem Brief an Horkheimer aus dem November 1937 spricht er davon, dass in einer geschichtlichen Situation, wo „die Befestigung der herrschenden Klasse in unverkleideten Marktpositionen“ so weite Fortschritte gemacht habe, es Kritik nur noch in der Form der Polemik geben kann. Ich finde, die Reaktionen auf meinen Artikel haben seine These und die Wirkungsmacht dieser Methode bestätigt.

tazaw: Beim Lesen Ihres Essays fiel der ernste politische Ton auf. Das Privileg des Schriftstellers, sich auch politisch äußern zu können, war bereits zu einer Karikatur geworden. Wie beurteilen Sie die Chancen für eine neue Ernsthaftigkeit?

L.Bärfuss: Ich war nie angekränkelt von dieser Heinrich-Böll-Angst, dass man als guter Mensch automatisch ein schlechter Schriftsteller sei und das Engagement das Werk gefährde. Über viele Jahrzehnte, eigentlich Jahrhunderte war die Beschreibung von Armut ein wesentlicher Bestandteil der erzählenden Literatur. Bei Baudelaire wird das manifest: In „Les Veuves“ zeigt er, wie ein geschichtliches Bewusstsein, überhaupt Erinnerung, nur möglich ist durch die Betrachtung des Schwachen, Ruinierten, Betrübten und Verwaisten. Das Nichtmarginalisierte grenzt den Schmerz aus, das Leid.

(TAZ.AM WOCHENENDE Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will der Bundeswehr ein neues Image geben: als Armee der Berater und Helfer. Wie das einer sieht, der in Afghanistan war, lesen Sie in dertaz.am wochenende vom 28./29. November 2015. Außerdem: Wie Beautybloggerinnen im Kampf gegen den Terror helfen könnten. Und: Der Kabarettist Frank-Markus Barwasser hört auf. Ein Abschiedstreffen. )

tazaw: Warum?

L.Bärfuss: Es ist gar nicht so sehr eine Frage des sozialdemokratischen, humanitären Realismus, dass man sich darum kümmert, sondern eine Frage der Epistemologie. Das Wissen, dass nur durch Mitleid und Empathie die herrschenden Zustände verändert werden können, dieses Wissen schwindet in unserer Kultur. Henning Ritter hat das in seinen „Notizheften“ klar formuliert. Die geschichtlichen Gründe dafür liegen vielleicht am Erfolg der neoliberalen Ideologie, die sich nur für Sieger interessiert, vielleicht liegt es auch an der Vernichtung der europäischen Juden. Wir sind von einer gewissen Tradition der Barmherzigkeit abgeschnitten, für die Simone Weil exemplarisch steht. Sie ist für mich die Referenz, wenn es darum geht, begrifflich scharf zu denken und gleichzeitig empathisch zu bleiben. Wie heißt es bei Baudelaire: „Und ich lege mich hin, stolz darauf, in jemandem anderen gelitten und gelebt zu haben.“

tazaw: Ist das eine Frage des Stils?

L.Bärfuss: Bei mir ist das eher biografisch bedingt und weniger eine poetische Position, die ich mir frei gewählt habe. Früh in meinem Leben war ich der Öffentlichkeit ausgeliefert. Einen privaten Raum besaß ich nur in Ausnahmefällen. Und so war ich dem Mitgefühl von Fremden ausgeliefert. Dass die Schwachen sich auf dieses Mitgefühl verlassen können, ist für mich der zentrale Wert einer Gesellschaft. Er bleibt in der Verantwortung des Einzelnen und kann nicht delegiert werden an die Institutionen.

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Anrührend klare Sprache;
Geerdet menschlich – Das Du im Ich anmahnend.
Danke.

(ps Jonas&sein Großvater – Eigen neu erzählt;)

http://www.taz.de/!5254433/#bb_message_3315316

Die Wahrheit Noch mal gutgegangen – Peter P. Neuhaus

Women dance in the Solyanka night club in MoscowDonnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die Leserschaft an einem Poem über einen weiblichen Lichtblick erfreuen.

Der Raum ist gut gefüllt. Vier Herren spielen Karten.
Der Fernseh läuft. Und auch Musik. Es riecht nach Bier.

Drei Raucher schleichen outdoorbunt bejackt zur Tür.
Am Tresen hocken zwei, die auf das Aufstehn warten.

Da plötzlich geht ein Wind – schon schweigen alle Dramen.
Im Wirtshaus steht und still die Zeit für kurze Zeit.

Trübgrau und dunkel war ’ s bislang. Jetzt ist ’ s so weit,
der Raum wird reich und hell: Es kommen Damen.

Drei an der Zahl betreten schnatternd froh die Schänke,
ihr hochoktaves Lachen kündet jäh vom Glück.
Der Herren Köpfe schwingen rum, man hört Gelenke.

Den Rauchern stockt der flache Atem vor Entzück.
Am Tresen tränt die Sehnsucht in Getränke.
Die Damen halten inne, sie betrachten kurz das Stück –

„Hoppsa! Vertan!“ – und treten kichernd in die Nacht zurück.
———-

korrekt

Zwei Frauen an der Bar.
Drei Männer spielen Skat.
„Der links, Lehmann, Arschloch –
Stimmt –
Der rechts, Meier, Arschloch-
Stimmt –
Den Dritten kenn ich nicht –
Meiner –
Oh –
Arschloch.“

by Fanny Müller
(…aus der Hand;)

Netzkampagne gegen die Bundeswehr Mach, was zählt – Martin Kaul

MACHWASBildschirmfoto_2015-11-23_um_16.16.21COOLMit einer hippen Kampagne im Wert von 10,6 Millionen Euro wollte die Bundeswehr ihr Image aufbessern. Jetzt gibt es einen kleinen Aufstand im Netz.

BERLIN taz | „Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst. Mach, was wirklich zählt!“ Das ist nur einer der Sprüche, mit denen die Deutsche Bundeswehr seit kurzem offensiv im Rahmen einer 10,6 Millionen Euro teuren Werbekampagne für sich wirbt. Für die Karrierechancen beim Militär. Für die Friedensarbeit Deutschlands. Für den Einsatz in Kriegsgebieten.

Schön gemacht, oder?

Im Netz wird diese Kampagne seit Montagmorgen nun scharf attackiert – und mit einer Camouflage aufs Korn genommen. Denn während die bereits auf Irritation angelegte Kampagne der Bundeswehr auf eine Webseite führte, von wo aus interessierte Nachwuchsmilitärs sich gleich einen Termin für ein Bewerbungsgespräch organisieren konnten, lädt die Camouflage der Bundeswehr-GegnerInnen auf folgende Homepage ein. Auf den ersten Blick sind die beiden Seiten schwer auseinanderzuhalten. Wie wurde das nur möglich? ->

have a look at ->

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http://www.taz.de/Netzkampagne-gegen-die-Bundeswehr/!5254884/
Tag der Bundeswehr

 

Zum 100. Geburtstag von Roland Barthes Den Kopf heben und träumen – Jochen Schimmang

Portrait de l ecrivain et linguiste francais Roland Barthes 1915 1980 chez lui en 1970 Paris PhoRoland Barthes, der uns die Lust am Text gelehrt hat (1970).
Roland Barthes war Liebhaber und Praktiker der Abweichung. Sein Schreiben wusste zu Beginn nie, wohin es treiben würde.

Als die Semiologie, die Wissenschaft von den Zeichen, erste akademische Anerkennung erhielt, interessierte sie ihn schon kaum noch, jedenfalls nicht als wissenschaftliches Gebäude. Das strukturalistische Label wurde ihm und anderen ohnehin von außen aufgeklebt. Selbst der berühmte Satz aus dem Mai 1968, „Die Strukturen gehen nicht demonstrieren“, stammt nicht von ihm, sondern von einigen seiner Studenten.

Er selbst weigerte sich, die meisten Aufrufe, Appelle und Manifeste zur Tagespolitik zu unterschreiben, obwohl das doch zu den vornehmsten Aufgaben eines französischen Intellektuellen zählt. Er war immer schon an einem anderen Ort, und deshalb findet man bis heute nie den richtigen Platz im Regal für ihn. Dieser ständige Zwang zum Umräumen stört natürlich die intellektuelle Ruhe. Deshalb bleibt er lebendig und auf vielfache Weise unser Zeitgenosse.

Man könnte ihn natürlich einen Essaiisten nennen, bewusst in der französischen Schreibung, und wäre nah dran. Dieser Liebhaber der Anfänge und des Fragments hat es mit dem essai als Versuch wirklich ernst gemeint. Sein Schreiben wusste zu Beginn nie, wohin es treiben würde. Denn er lehnte nicht nur die doxa ab, die geläufige Meinung, die weniger durch den Inhalt als durch die Form definiert ist, durch ihre dauernde Wiederholung.

Er verwarf auch die Thesengebäude all derer, die es besser wussten, also den „Diskurs der Einschüchterung, Unterwerfung, Beherrschung, hochmütigen Behauptung“ führten. So gesagt im Mai 1978 in der Vorlesung über „das Neutrum“ am Collège de France, die in der Rezeption gegenüber den Vorlesungen „Wie zusammen leben?“ und „Die Vorbereitung des Romans“ oft etwas stiefmütterlich wegkommt, obwohl sie die reichhaltigste, die unerschöpflichste ist.

Dieser Liebhaber der Anfänge und des Fragments hat es mit dem „essai“ als Versuch ernst gemeint

Sein Ziel in diesem Teil der Vorlesung war es, herauszufinden, „unter welchen kritischen Bedingungen ein Diskurs nicht arrogant sein kann“. Dies wird nota bene gesagt an einem Ort und von einer Position aus, die im französischen System absolute Autorität verleiht, am Collège de France, wo Barthes seit 1977 den Lehrstuhl für Literarische Semiologie innehat.

Mit der Analyse im Streit

In seiner Antrittsvorlesung stellt er sich die Frage, was das Collège bewogen haben könnte, „ein unsicheres Subjekt aufzunehmen, bei dem jedes seiner Attribute gewissermaßen von dessen Gegenteil bekämpft wird“. Er weist darauf hin, dass er „nur Essais“ hervorgebracht habe, eine Gattung, „die mit der Analyse im Streit liegt“, und schließlich: „Es handelt sich also um ein unreines Subjekt, das in ein Haus aufgenommen wird, in dem Wissenschaft, Gelehrsamkeit, Genauigkeit, gezügelte Einfallskraft herrschen.“

Diese Selbstbeschreibung ist keineswegs Koketterie. Sie sagt im Gegenteil viel über Barthes’ Blick auf die eigene Arbeit und den eigenen Weg. „Gezügelte“ Einfallskraft (l’invention disciplinée) war ganz gewiss nicht seine Stärke (die Spitze gegen die traditionelle universitäre Gelehrsamkeit ist natürlich nicht zu überhören).

Barthes war ein Liebhaber der Abweichung, und sein Weg bis zur prestigereichsten Adresse des französischen Wissenschaftsbetriebs war eine einzige Abweichung vom normalen Gang der französischen Elitezüchtung. Bedingt war das durch den Ausbruch der klassischen Künstlerkrankheit, der Tuberkulose. Diese verwehrte ihm den Zugang zu einer der Grandes Écoles und führte dazu, dass er nach jahrelangen Sanatorienaufenthalten und Lehrtätigkeiten in Bukarest und Alexandria sein erstes Buch, „Am Nullpunkt der Literatur“, erst im Alter von fast 38 Jahren veröffentlichte: ein sehr später Start für eine Karriere als öffentlicher Intellektueller.

Vor dem arroganten Diskurs bewahrt

Dass er, anders als Foucault (der im Gegensatz zu Barthes aus reichem Hause kam), die übliche Ochsentour nicht durchlaufen durfte, bewahrte ihn davor, zu einem Experten zu werden, zu seinem eigenen Glück und zu dem seiner Leser. Es bewahrte ihn vor dem arroganten Diskurs. Das Eigentümliche seiner Bücher – jeder darf sich sein Lieblingsbuch aussuchen, sein eigenes war „Das Reich der Zeichen“, ein Buch, das angeblich von Japan erzählte – besteht gerade darin, dass sie keine Thesen aufstellen und sich im Reservoir der Ideen und Theorien je nach Bedarf munter bedienen.

Barthes selbst hat das in dem Fragment „Über mich selbst“ sehr prägnant beschrieben: „Er geht selten von Ideen aus, um für sie anschließend ein Bild zu erfinden; er geht von einem sinnlichen Objekt aus und hofft dann, im Verlauf seiner Arbeit der Möglichkeit zu begegnen, dafür eine Abstraktion zu finden, die der derzeitigen intellektuellen Bildung entnommen wird: die Philosophie ist dann nur ein Reservoir besonderer Bilder, realer Fiktionen (er entleiht Gegenstände, nicht Überlegungen).“

Verständlich, dass die Wissenschaftler mit der gezügelten Einbildungskraft und die Meisterdenker darüber nicht erfreut waren, aber so muss man verfahren, um sich nicht vom arroganten Diskurs überwältigen zu lassen. Nur nebenher sei gesagt, dass Barthes’ Verfahren hier Ähnlichkeit mit Richard Rortys Umgang mit den großen Denkern hat. Es ist der Umgang des souveränen Lesers, dessen Lektüre nicht durch Ehrfurcht vor dem Autor oder dem „Werk“, sondern durch die Lust am Text gesteuert wird.

Er hat aber darauf verwiesen, dass der Tod des Autors gleichzeitig die Geburt des Lesers ist

Barthes hat 1968 über den „Tod des Autors“ geschrieben und später auf die vielfachen Kontingenzen verwiesen, durch die ein „Werk“ zustande kommt. Seine eigene Arbeit, darunter eine Vielzahl davon Gelegenheitsarbeiten, die auf Anfrage geschrieben wurden (bekannt ist, dass er nicht nein sagen konnte), bezeugt die Fragwürdigkeit der Vorstellung vom „Werk“ am besten.

Die Lust am Text

Er hat aber auch darauf verwiesen, dass der Tod des Autors gleichzeitig die Geburt des Lesers ist, dieser bis heute unbekannten und doch so völlig unverzichtbaren Figur. Schließlich erschafft erst der Leser durch seine Lektüre das Buch, jeder einzelne neu, während es, wird es gerade nirgendwo auf der Welt gelesen, mausetot ist. Aber „man versucht herauszufinden, was der Autor sagen wollte, und mitnichten, was der Leser versteht“. Das ist bis heute so geblieben, aus dieser Tatsache schöpft die Literaturkritik ihre Deutungsmacht.

Barthes dagegen hat uns die Lust am Text gelehrt. Die darf nicht in der unsäglichen Waschzettel- und Rezensentensprache so verstanden werden, dass ein Buch – wieder einmal! – „einen Sog entwickelt“ oder „ein großes Lesevergnügen“ verschafft. Der gute Leser, der mit dem Tod des Autors geboren wird, lässt sich nicht überwältigen und sinkt nicht ohnmächtig dahin. Keineswegs „verschlingt“ er einen Roman, diese gefräßige Lektüreart ist ihm zuwider. Er liest, indem er „fortwährend den Kopf hebt, um zu träumen“, sein „Lesen löst sich vom Buch, um die Welt zu erforschen: ihre Zeichen, ihre kleinen Sätze, ihre Bilder, ihre Mythen . . .“

Eben so ist Roland Barthes selbst zu lesen. Nicht mit dem Hunger nach Sinn und der Frage, was er uns sagen wollte. „Schreiben hat nichts mit Bedeuten zu tun, sondern mit Landvermessen und Kartographieren, auch des gelobten Landes“, haben Deleuze und Guattari 1973 geschrieben. Eben diese karthografische Arbeit leisten Barthes’ Texte, egal, ob sie sich dem Citroën DS zuwenden oder den japanischen Pachinko-Automaten, einer Erzählung von Balzac oder dem Schlaf. Das macht ihre Unerschöpflichkeit aus und erklärt die Tatsache, dass Barthes, der die digitale Ära nicht mehr erlebt hat, noch immer unser Zeitgenosse sein kann.

Er selbst hat sich „nur“ als den imaginären Zeitgenossen seiner Gegenwart verstanden, „Zeitgenosse ihrer Sprachen, ihrer Utopien, ihrer Systeme (das heißt ihrer Fiktionen), aber nicht ihrer Geschichte“. Der Schriftsteller war für ihn der „Mensch des Zwischenraums“, und in diesem Zwischenraum war er aktiv tätig, als Landvermesser ganz im Sinne von Deleuze und Guattari.

Wenn das gelobte Land vermessen wird, geht es schließlich auch ums Glück, und „Glück ist vielleicht das, was ich auf der Welt am besten verstehe“, hat Barthes schon 1946 in einem Brief geschrieben. Als seine Leser, wenn wir ab und zu den Kopf heben, können wir daran teilhaben.

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Danke. Feine Schreibe.
Dazu Daniel Defért parallel -> & http://www.taz.de/Da…cault/!5238682/
Es werden daraus mehrere  Vergnügliche Luftgitarren;))

http://www.taz.de/!5250832/#bb_message_3309770
Michel_Focault_13102015TAG